Mamas Stories

Kindliche Melancholie – ein Brief an meine Mutter

Meine liebe, wunderschöne, zarte Mama,

nun ist es schon fünf Jahre her. Fünf kurze, ereignisreiche und wichtige Jahre lang habe ich jeden Tag an dich gedacht.

Ich denke besonders oft an unseren letzten gemeinsamen Spaziergang am Aasee und wie du dir den Wind hast um die Nase wehen lassen. Dabei haben wir über mein Brautkleid philosophiert und als wir am Abend dann zusammen saßen, hast du einfach Papier und Stift genommen und innerhalb von 3 Minuten mein Traumkleid skizziert. Das konntest du gut! Mich verstehen, ohne lange Erklärungen. Und du warst voller Tatendrang, voller Lust am Leben. Du hast heller gestrahlt als jedes andere Licht in unserem Leben!

Doch du hattest auch eine andere Seite. So ist es ja oft, nicht wahr? Da wo es besonders hell ist, muss es auch die schattigen Seiten geben. Dann überkam dich diese Melancholie. Manchmal gut begründet, manchmal war es aber auch diese aus heiterem Himmel auftauchende Betrübtheit. Dann hast du „What a wonderful world“ von Louis Armstrong aufgelegt und mit glasigen Augen mitgesungen. Daran erinnere ich mich noch gut.

Gerade im Januar, gerade jetzt wo du nicht da bist, um all die wundervollen Momente mit deinen Enkelkindern zu erleben, weiß ich genau wie sich diese Melancholie anfühlt. Ich habe diese Momente auch schon immer gekannt und sehr lange gebraucht bis ich einen gesunden Weg fand, damit umzugehen.

Es ist nämlich so, wenn man versucht die Traurigkeit zu verdrängen und ihr jegliche Daseinsberechtigung abspricht, dann wird sie größer. Im Hintergrund brodelt es dann weiter, wächst und frisst sich immer tiefer in die Seele. Es gab Zeiten, da konnte ich das auch bei dir erleben. Aber du warst eine unfassbar starke Frau und hast diese Traurigkeit – sicherlich auch wegen meiner Schwester und mir – immer wieder überwunden. Mir fiel das zeitweise viel schwerer und ich habe es erst mit externer Hilfe geschafft, für mich den besten Weg zu finden. Jetzt kann ich gut damit umgehen. Es zulassen und dann bewusst wieder aussteigen. Das ist nicht einfach, aber es gelingt mir zuverlässig.

Vor ein paar Wochen fiel mir dann dieser Blick in den Augen des kleinen Münsteraners auf. Er lag einfach so auf dem Sofa und schaute nach draußen. Erstmal nichts Außergewöhnliches, denn er neigt zum Tagträumen und das ist ja auch ganz schön. Doch seine Augen verfolgten dieses Mal nicht das geschäftige Treiben der Vögel rund ums Vogelhäuschen. Dieses Mal ging sein Blick in die Leere und eine Träne kullerte langsam seine Wange hinunter ohne das er sie wahrnahm.

Ich wusste sofort was los war. Ich brachte das Münsterbaby zum Papa und bat ihn, uns zwei ein wenig Ruhe und Raum zu geben. Dann setze ich mich ruhig neben ihn und direkt kuschelte er sich an mich. Er schaute mir in die Augen und ich sah die ganze Traurigkeit der Welt im Blick meines Sohnes. Dass es mich in dem Moment innerlich zerriss, brauche ich dir vermutlich nicht zu erklären.

Ich streichelte sanft seinen Kopf und hielt seinen trauernden Blick für eine gefühlte Ewigkeit. Irgendwann atmete er tief ein und ließ seinen Kopf gegen meine Brust sinken. Ich fragte ihn, an was er denkt und er sagte „Ich weiß es nicht, Mama.“

Ich habe an diesem Tag versucht ihm zu erklären, dass ich dieses Gefühl gut kenne und dass es ganz normal ist. Manchmal ist man traurig und darf es auch ruhig sein. Dann kann man sich einen Moment hinsetzen oder irgendwo hingehen wo es ruhig ist. Aber wenn man eine Weile traurig war, dann ist es auch genug und man muss sich etwas suchen, das einem wieder hilft fröhlicher zu werden. Manchmal hilft es mir, sagte ich ihm, wenn ich dann dem Papa sage, dass ich traurig bin. Er könnte es ja mir sagen und wir gucken dann zusammen, was wir machen können, damit es ihm dann wieder besser geht.

Mama, ich bin froh, dass du uns allen nicht nur die Melancholie vermacht hast, sondern auch die Liebe zur Kunst und Musik. Wir haben alle deinen guten Geschmack was Essen angeht geerbt und viele andere Leidenschaften, die uns befähigen den Weltschmerz in uns zu bändigen und oft auch diese Kraft, die dahinter steckt, ins Positive umzusetzen.

Mir ist es wichtig, dass der kleine Münsteraner früh lernt, dass alle Gefühle richtig sind zu ihrer Zeit und dass man allen Gefühlen ihren Raum zugestehen muss. Ich möchte ihm aber auch Werkzeuge mit auf den Weg geben, damit er hoffentlich nie in dieser Traurigkeit untergeht.

Bald jährt sich der schlimmste Tag meines Lebens, der Tag an dem du bei strahlendem Sonnenschein von uns gegangen bist. Das ist für uns alle die schwierigste Zeit im Jahr. Aber ich werde einfach ganz oft „What a wonderful world“ mit den Kindern hören, den Duft von Safranpudding durch’s Haus strömen lassen und von den vielen schönen Erinnerungen erzählen. Und ich werde mich informieren, wie ich dem kleinen Münsteraner in seiner kindlichen Melancholie noch besser helfen kann! Er ist jetzt vier und ich denke, es kann sich noch in alle Richtungen entwickeln. Diese Zeit muss ich nutzen.

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Um es klarzustellen und Nachfragen zu vermeiden: Meine Mama ist vor 5 Jahren an den Folgen einer OP verstorben. Bitte seht von Beileidsbekundungen ab, die tun mir nicht gut – auch wenn der Gedanke dahinter lieb und gut gemeint ist.

Die Autorin dieses Beitrags

Leila schreibt seit 2014 über Familie, Food und Reisen hier auf Münstermama, und als Kolumnistin der MZ. Als Gründerin des Münsteraner Bloggernetzwerks MünsterBLOGS ist sie aktuell nicht mehr aktiv, begleitet das Netzwerk aber noch immer.

Kategorie: Mamas Stories

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Leila schreibt seit 2014 über Familie, Food und Reisen hier auf Münstermama, und als Kolumnistin der MZ. Als Gründerin des Münsteraner Bloggernetzwerks MünsterBLOGS ist sie aktuell nicht mehr aktiv, begleitet das Netzwerk aber noch immer.

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