Mamas Stories

Aleppo hat die Stille nicht verdient

Wir müssen über den Krieg reden!

Wir müssen in diesen Tagen endlich anfangen über den Krieg zu reden. Wir müssen mit unseren Kindern reden und mit unseren Eltern, wir müssen unsere Arbeitskollegen und Freunde darauf ansprechen. Wir müssen vor allem endlich um all die Opfer weinen, wie wir um die Opfer von Paris und New York geweint haben!

Wie können wir scharenweise Profilbilder auf „Je suis Paris“ umstellen und Filme über New York drehen, aber jetzt still sein?! Wir müssen um Aleppo genauso trauern, denn diese Menschen sind nicht weniger wert als Amerikaner oder Franzosen! Sie haben dunkle Haare und ihre Sprache ist arabisch, aber sie sind Menschen genau wie wir! Sie haben Kinder genau wie wir! Sie atmen, lieben und leben genau wie wir…nein, falsch.

Sie lebten.

Hello darkness, my old friend
I’ve come to talk with you again
Because a vision softly creeping
Left its seeds while I was sleeping
And the vision that was planted in my brain
Still remains
Within the sound of silence

Die Menschen aus Aleppo schicken uns seit Tagen ihre Abschiedsnachrichten ins Netz. Im Fernsehen können wir jeden Abend die neuesten Massaker sehen. Wir schauen zu wie auf die abscheulichste und hinterlistigste Weise Männern in den Kopf geschossen wird und wie die Leichen von toten Frauen und Kindern wie Müll aufgehäuft werden.

Und dennoch sind wir STILL.

Wir schweigen seit über fünf Jahren!

In restless dreams I walked alone
Narrow streets of cobblestone
‚Neath the halo of a street lamp
I turned my collar to the cold and damp
When my eyes were stabbed by the flash of a neon light
That split the night
And touched the sound of silence

In Aleppo gibt es Kinder, die so alt sind wie meine. Meine Kinder wissen noch nicht was Krieg bedeutet. Ich bin mir nicht mal sicher, ob sie verstanden haben, was Tod bedeutet. Doch die Kinder in Aleppo kennen NICHTS ANDERES. Sie kennen nur Tod, Angst und Krieg. Sie wissen was es bedeutet, wenn ihre Familienmitglieder gestorben sind und ihre Schule weggebombt wurde. Sie sehen und riechen die Leichen jeden Tag und schmecken den Staub, der aus den Trümmern aufsteigt.

Als ich vier Jahre alt war, war ich auch in einem Krieg. Die Soldaten der Regierung marschierten durch die Straßen und stürmten jedes Haus. Sie vergewaltigten die Frauen und Kinder, sie erschossen die Männer oder zwangsrekrutierten sie. Genau wie jetzt in Aleppo.

Und was tat die Welt? Sie wusste nichts davon. Sie schaute weg. Sie war still.

And in the naked light I saw
Ten thousand people, maybe more
People talking without speaking
People hearing without listening
People writing songs that voices never share
And no one dared
Disturb the sound of silence

Ich erinnere mich an das Stampfen der Stiefel im Gleichschritt durch die Straßen. Ich erinnere mich nicht an viel aus dieser Zeit, aber ich erinnere mich an die Angst meiner Mutter, die so schnell meine eigene wurde. Ich kann noch Mamas stockenden Atem hören als die Schritte sich unserem Haus näherten. Ich rieche den Angstschweiß meiner Mutter und ich fühle ihre Tränen leise auf meinen Kopf runtertropfen während wir uns hinter dem Kühlschrank in der Küche versteckten.

Mich hat es viele Jahre und viel Kraft gekostet diese Angst hinter mir zu lassen, aber das Geräusch dieser Schritte – ich habe noch heute Alpträume. So wie die Flüchtlingskinder die jeden Tag seit Jahren auf der Flucht sind.

Wir hatten Glück. Wir haben nicht nur überlebt, wir haben einen Weg hinaus gefunden und uns ein neues glücklicheres Leben aufgebaut. Meine Eltern haben ihre Berufe, ihre Träume und Pläne verloren, aber wir hatten Glück!

„Fools“, said I, „You do not know
Silence like a cancer grows
Hear my words that I might teach you
Take my arms that I might reach you“
But my words, like silent raindrops fell
And echoed in the wells of silence

Doch was ist mit den Kindern und ihren Müttern in Aleppo? Werden sie tatsächlich mit ihrem Leben davon kommen? Wird nur eines dieser Kinder ein normales Leben führen können? Haben wir zugeschaut wie ganze Generationen von Syrern entwurzelt, traumatisiert und geschlachtet wurden? Wollen wir so weitermachen?!

And the people bowed and prayed
To the neon god they made
And the sign flashed out its warning
In the words that it was forming
And the sign said, „The words of the prophets are written on the subway walls
And tenement halls“
And whispered in the sounds of silence

Wir haben geschwiegen. Doch damit ist Schluss!

Lasst uns jetzt an sie denken. Lasst uns jetzt von ihnen reden. Lasst uns über die Menschen in Aleppo reden. Auch und gerade an Weihnachten!

Lasst uns mit den Menschen aus Syrien, die es schon hierher geschafft haben reden. Wir müssen ihren Ängsten und ihrer Trauer einen Raum geben und die Stille für immer verbannen.

Wir haben zugelassen, dass genau vor unserer Nase ein Genozid stattgefunden hat. Aleppos Trümmer und Tote sind das Erbe unseres moralischen Versagens. Wir haben bis hierher versagt, aber wir haben die Chance endlich aufzuwachen.

„Fools“, said I, „You do not know
Silence like a cancer grows
Hear my words that I might teach you
Take my arms that I might reach you“

Es ist unsere Pflicht zu reden!

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Die Autorin dieses Beitrags

Leila schreibt seit 2014 über Familie, Food und Reisen hier auf Münstermama, und als Kolumnistin der MZ. Als Gründerin des Münsteraner Bloggernetzwerks MünsterBLOGS ist sie aktuell nicht mehr aktiv, begleitet das Netzwerk aber noch immer.

Kategorie: Mamas Stories

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Leila schreibt seit 2014 über Familie, Food und Reisen hier auf Münstermama, und als Kolumnistin der MZ. Als Gründerin des Münsteraner Bloggernetzwerks MünsterBLOGS ist sie aktuell nicht mehr aktiv, begleitet das Netzwerk aber noch immer.

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