Ein experimenteller Neuanfang, eine Mutter im Katastrophen-Modus, Veränderungen nach einer Erkrankung und wie ich mein ungesundes Gedankenspiel umdrehte.
Im letzten Jahr war ich im typischen Mami-Katastrophen-Rad gefangen. Jede Sekunde meines Tages war gefüllt mit zeitlichem Druck, dem Gefühl jedem verpflichtet zu sein, zu wenig Mama für die Kinder zu sein und überhaupt nichts richtig hinzukriegen.
Der Einschnitt
Und dann kam der Worst Case. Ich musste ins Krankenhaus, ich konnte nicht bei den Kindern sein, nichts erledigen, nicht arbeiten, nicht schreiben, nicht mal lesen! Die Komplikation nach der OP war ein Riesenschock und ich hatte die erste Panikattacke meines Lebens.

Diese Tage in der Klinik haben den Pause-Knopf gedrückt und plötzlich war es still um mich rum. Ich will ehrlich sein, diese Stille fühlte sich nicht gut an.
Die Vollbremsung
Schmerz, Stress und Schlaflosigkeit hatten mich über die vergangenen Monate gefühlt in einen Katastrophen-Zombie verwandelt. Nach außen wirkte ich häufig ganz normal wie immer, doch meine Herzensmenschen konnten mir den innerlichen Sturm ansehen. Im Klinikbett war ich plötzlich mit meinen Gedanken allein und konnte alle Was, Wenn’s durchspielen…
- Was, wenn ich die Deadline nicht schaffe?
- Was, wenn ich nicht zum Elternabend kann?
- Was, wenn alle mich für ein Weichei halten?
- Was, wenn keiner mehr meine Texte liest?
Bis hin zum ultimativen:
Was, wenn alle feststellen ohne mich läuft es besser?

Ich bin Stress!
Im dunkelsten Augenblick fiel mir plötzlich eins der Lieblingslieder meiner Mutter ein. Ich sah sie vor meinem geistigen Auge, wie sie leicht schwingend in der Küche stand. Erst leise und dann immer lauter mitsingend, mit feuchten Augen und dem schönsten Lächeln auf den Lippen.

Ein echter Heureka Moment. Meine Tränen flossen und trotzdem musste ich lachen. Über mich, die Situation und all diese absurd selbstzerstörerischen Fragen.
Die Einordnung
Was passiert eigentlich, wenn ich einfach andersrum frage?
- Was, wenn ich ein Hörbuch höre, statt zu lesen?
- Was, wenn ich mir Zeit nehme und sortiere, welche Aufgaben und Aufträge mich in Zukunft weiterbringen?
- Was, wenn ich einfach den Moment hier und jetzt mit den Kindern bestmöglich genieße?
- Was passiert mit mir und uns, wenn ich einfach aufhöre über die nächsten Schritte und Aufgaben nachzudenken und einfach loslasse?
Die Antwort auf die letzte Frage ist im Nachhinein offensichtlich. Und doch konnte ich es so lang nicht sehen. Es passierte nämlich nichts! Also nichts wesentlich Negatives. Tatsächlich passierte sogar etwas Großartiges.
Ich entspannte mich und fing an zu heilen!
Angst vs. Realität
Natürlich blieb in den letzten Wochen viel liegen. Doch tatsächlich war 80% von dem, was liegen blieb, eh nie notwendig oder lebensentscheidend gewesen.
Und natürlich war es doof für meinen Mann und die Kinder, dass Mama nicht mehr funktionierte. Aber tatsächlich vermissten sie mich, mich als Person. Keinem fehlte die gestresste, über-rotierende Katastrophen Mama, in die mich die Überforderung und der Schmerz verwandelt hatten.
Auch beruflich passierte kaum etwas. Klar, die Kollegen hatten mehr Arbeit und die Kunden hingen in der Warteschleife. Doch überall ließ sich diese Zeit gut überbrücken und keiner zweifelte an, dass diese Pause notwendig war.

Der Neuanfang
Morgen gehe ich zurück an die Arbeit. Zum ersten Mal nach sechs Wochen Ausnahmezustand werden wir uns morgens als Familie abfahrbereit machen. Ich werde im Büro unzählige E-Mails lesen und viele liegen gebliebene Briefe öffnen.
Mittags fahre ich heim und versuche mir eine echte Mittagspause zu nehmen. Ohne Smartphone, privaten E-Mails und Nachrichten. Kein Fernseher, kein Buch.
Neuanfang oder Experiment?
Warum so radikal? Ganz ehrlich: Es wird ein Experiment. Ich fand es gut, meine Gedanken wieder laut hören zu können in den letzten Wochen. Und ich glaube, das geht im Alltag super schnell wieder verloren.
Also werde ich versuchen, mir bewusste Zeiten zu setzen in denen wir wieder allein sind.
Nur ich und meine Gedanken. Damit wir uns aussprechen können und ich nicht wieder anfange, meine alte Gewohnheit des Was, Wenn-Spielens wieder aufzunehmen.
Und dann hole ich den Kleinen aus dem Kindergarten, frage den Großen nach seinem Tag in der Schule und schnibbel uns allen einen großen Obstteller. Alltag auf den ich mich freue!
„Einordnung durch Einschnitte“ nannte Britta Heithoff diesen Prozess in einem Kommentar unter meinem Instagrambeitrag zu diesem Thema. Ich finde, das trifft es sehr genau.
Spielt ihr auch (ungewollt oder gewollt) Was, Wenn-Spiele zur Einordnung?