Mamas Stories

Zwanglose Liebe

Heute geht’s um zwanglose Liebe bzw. romantische Liebe und meine persönliche Sicht darauf. Also nicht die Liebe zu unseren Kindern oder Eltern. Was das auf einem Familienblog zu suchen hat? Wir haben hier schon einige Male über Gefühle geredet und darüber, was wir unseren Kindern vorleben wollen. Am Ende ist „Liebe“ auch nur ein Wort und welche Bedeutungen wir diesem Wort beimessen und was unsere Kinder daraus lernen, liegt ganz bei uns.

Meine Sicht mag eine andere sein als eure und Gefühle sind nie statisch. Ich möchte also nicht ausschließen, dass es eine Zeit gab oder eine Phase kommen mag, in der ich das alles wieder anders sehe. Lasst uns gern darüber diskutieren.

Liebe: Meine Wahrheit

Liebe passiert. Ganz häufig sogar. Wir fühlen Liebe, wenn wir lange mit jemandem befreundet sind, der perfekt zu uns passt (angemessen) und wir fühlen Liebe, wenn wir angetrunken auf einer Party ein besonders intensives Gespräch mit einer heißen Person führen und anschließend knutschend in einer Ecke stehen (weniger angemessen). Fakt ist: Liebe schert sich wenig um gesellschaftliche Normen und interessiert sich nicht die Bohne, was angemessen ist und was nicht.

Wir haben uns aber einen Mythos Liebe erschaffen, durch Filme, Songs und Geschichten, der Liebe zu etwas Besonderem, Rarem und Einmaligem macht. Wir erschaffen das Bild, dass Liebe nur für wenige Glückliche bestimmt ist und diese eine Liebe ein Leben lang bestehen bleibt. Gleichzeitig besagt der Mythos, dass Liebe Zeit braucht um zu entstehen. Alles, was du rund um diese besonders intensive Zeit fühlst, ist was anderes: Verknalltheit, Schwärmerei, Gewohnheit. Oder mein Liebling: Verliebtsein, was für viele immer noch nur eine Vorstufe zur „wahren Liebe“ sein muss).

Wir heben diese Liebe so hoch, dass sie in romantischen Komödien jegliche Absurdität rechtfertigt: Wenn du dich in jemanden verliebst, schnapp sie dir! Auch wenn sie bereits verheiratet ist und du ihre Cousine bist und nächste Woche für acht Monate in die Antarktis aufbrichst. Weil, du wirst diese Person wahrscheinlich für immer lieben und nie wieder für jemand anderen dieses Gefühl aufbringen können. Was für ein Nonsens.

Wir sind so eingeschossen auf diese Idee der einzig wahren Liebe, dass wir dazu neigen im Rückblick viele Gefühle einzuklammern („Ich wusste sofort, ich werde ihn heiraten.“) oder auch auszuklammern („das war ja nur ein Urlaubsflirt.“). Das Problem was ich damit habe:

Wenn man mittendrin steckt, fühlen sich diese Situationen schon verdammt ähnlich an.

Hände die sich berühren, ganz 
locker als Symbol für zwanglose Liebe

Ein Gefühl: Liebe

Liebe ist ein Gefühl für mich, wie jedes andere. Dieses hier fühlt sich warm (heiß) und schmetterlings-flatterig an. Es kitzelt ein wenig und es zieht durch meinen Bauch, meine Brust und mein Gesicht. Wenn ich Liebe fühle, gehören auch immer besonders enthusiastische Gedanken dazu: „Diese Person ist großartig.“, „Wie kann ich dafür sorgen, dass es dieser Person besonders gut geht?“ oder auch „Ich will mich an ihn drücken und ihn überall an mir fühlen.“

Ich weiß nicht, wie es mit euch steht, aber ich selbst hab mich mindestens hundert Mal so gefühlt. Ach, noch viel öfter. Als Teenagerin hatte ich dieses Gefühl bestimmt drei Mal am Tag bei verschiedenen Menschen und auch wenn diese Frequenz sich über die Jahre deutlich verringert hat, passiert es doch auch heute noch. Ich liebe Jamie Cullum seit Jahren immer, wenn ich „Blame it on my youth“ höre und ich liebe für einen Moment den fremden Mann, der mir den schweren Koffer die Treppe im Bahnhof hochträgt und dabei so charmant lächelt. Und ich bin verheiratet. *schock*

Wir wissen alle, sowas passiert am laufenden Band. Frauen lieben ihre Tennistrainer, Männer ihre Sekretärinnen und alle Keanu Reeves. Das Leben bedient so unfassbar gern die Klischees, dass es für mich absolut unverständlich ist, warum wir so an diesem alten Liebeskonstrukt festhalten wollen.

Apropos verheiratet. Ja, dieses Gefühl der Liebe habe ich auch gegenüber meinem Mann. Anders als zu Beginn und nochmal anders als in der Mitte der vergangenen 21 Jahre. Jetzt ist es viel weicher, wärmer, bequemer und weniger dringend. Aber die Liebe für meinen Mann ist umgeben von anderen Gefühlen und Gedanken, die viel seltener (und oft wertvoller) sind – meiner Erfahrung nach. Zum Beispiel: Ein tiefgehendes Verständnis und Anerkennung für die Persönlichkeit, Werte und auch Macken des anderen. Wir teilen Jahre an Erfahrungen, Zukunftsvisionen, Geschmäcker und Vorlieben. Ich komme nochmal darauf zurück.*

Liebe: Leicht und doch so schwerwiegend?

Liebe muss nicht immer so schwer sein. Lasst uns doch diese Bürde, diesen Zwang aus dem Wort Liebe wieder herausnehmen und ihr die Leichtigkeit, die Aufregung und die Flüchtigkeit zurückgeben, die sie so schön macht.

Stellt euch vor, wir könnten einander sagen: „Ich liebe dich. Keine große Sache. Es bedeutet nicht, dass du der Eine bist, und du musst mich nicht mal zurück lieben. Wir müssen nicht daten oder gar heiraten oder überhaupt kuscheln. Wir müssen uns auch nicht tränenreich dramatisch trennen und zerbrochenes Geschirr zurücklassen. Es bedeutet nicht, dass ich dich lieben werde bis ich sterbe oder dass ich dich nächstes Jahr noch liebe, oder morgen.“

Viel besser wäre es, man sagt es einfach, wenn man es fühlt und der andere freut sich darüber. Dann irgendwann später, vielleicht beim Kaffee, redet man bei klarem Verstand darüber ob dieses Gefühl in uns den Wunsch auslöst irgendwas gemeinsam zu unternehmen. Zur Auswahl stehen dann viele Aktivitäten… kuscheln, daten, heiraten sind dann Optionen. Man kann sich für oder gegen diese Optionen entschieden. Das Gefühl allein ist noch kein Zwang. Und es gibt noch so viele weitere Möglichkeiten… zum Badesee fahren, eine Weltreise unternehmen, Kinder kriegen. Ich würde es jedenfalls bevorzugen, wenn meine Söhne früh verstehen, dass all diese Dinge nicht in der Liebe inbegriffen sind, sondern bewusste, klare, gesunde Entscheidungen sein sollten. Ich wünsche mir, dass sie lernen Liebe ohne Zwänge zu fühlen.

Ein altes Bild von Liebe

Als wir uns das Ja-Wort gaben, las jemand das Hohelied der Liebe aus dem Korintherbrief. Wie bei vielen Paaren. Und auch wir haben diese Worte noch Jahre später im Kopf:

Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig.
Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf.
Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, 
lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.
Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. 
Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. 
Die Liebe hört niemals auf.

Doch im Ehe-Alltag bin ich nicht immer gütig. Ich ertrage auch nicht alles und manchmal werde ich zu zornig. Ob ich meinen Mann liebe, wenn er mich auf die Palme bringt? Naja, das Gefühl der Liebe ist dann definitiv nicht spürbar. Doch muss damit meine Ehe enden? Heißt das, ich liebe meinen Mann grundsätzlich nicht mehr? Vielleicht, aber nicht zwangsweise oder dauerhaft. Gefühle sind nicht über Jahrzehnte gleich, sie entwickeln sich, schwanken, verschwinden und tauchen auch wieder auf, wenn man sie lässt.

*Doch die Bindung und Verpflichtung, die ich mit Beginn der Ehe meinem Partner gegenüber eingegangen bin, ist so viel mehr als „nur“ ein Gefühl. Das Versprechen steht, auch wenn ich temporär das Gefühl nicht nachempfinden kann. Dieses Commitment bin ich nicht eingegangen aus einer Laune heraus, sondern nach Jahren voller Freundschaft, Vertrauen und bewussten Entscheidungen füreinander. Da ist ein Moment der Abwesenheit von Liebe – auch wenn sie mal Wochen dauert – nicht entscheidend. Wenn aber mein Respekt oder mein Versprechen ihm gegenüber nicht mehr stünden, dann wäre die Verbindung zwischen uns sehr wohl vorbei, egal wie stark die Liebe dann noch ist.

Eine Beziehung ist so viel mehr als das Gefühl der Liebe. Das möchte ich meinen Kindern vorleben.

Freier Sex aber keine freie & zwanglose Liebe

Die neue sexuelle Revolution, die mit deutlich mehr Kondomen und weniger Halluzinogenen als in den 60ern abläuft, nimmt jüngeren Generationen viele Ängste und Vorurteile. Ich finde es gut, wenn Männer und Frauen die Möglichkeiten haben, weniger scham- und angstbehaftet Sex auszuleben. Den Sex gab es schon immer und wird es immer geben, aber ich freue mich, wenn junge Menschen erfahren, dass sie Sex in einem sicheren, einvernehmlichen und unverbindlichen Rahmen außerhalb ewiger Zwänge ausleben können. Zu erleben, wie offen und ehrlich kommuniziert wird über Verhütung, Krankheiten und Gewalt macht Hoffnungen auf eine bessere Zukunft.

Aber warum geben wir unserer Gefühlswelt nicht die gleichen Möglichkeiten? Ich wünsche mir, dass meine Kinder auch das reine Gefühl der Liebe frei erkunden können und dabei die freie Wahl haben, ob sie mit oder ohne Verbindlichkeiten ausgelebt wird. Wenn wir uns einig sind, dass unsere Körper keine Gefahr füreinander darstellen, können wir das nicht auch für unsere Gefühle so leben?

Die Vorteile zwangloser Liebe

Worauf ich hinaus will? Es gibt eindeutige Vorteile, wenn wir die leicht abgedrehte und unvorhersehbar flatterige Liebe von den idealerweise rationalen, klaren Vereinbarungen und „Verhandlungen“ von Beziehungen trennen. „Liebe“ ist nicht ausreichend, um sich jemandem dauerhaft zu verschreiben. Für mich gehören z.B. Gegenseitigkeit, Kompatibilität und Verfügbarkeit in die Mindestanforderungen.

Für die Liebenden

Wenn „sich zu verlieben“ weniger beängstigend, lebensbedrohend und verrückt-machend ist, kann das nur gut sein für unsere Gefühlswelt. Solang Liebe all denen vorbehalten ist, die man heiraten will, wird die Liebe verwirrend und dramatisch bleiben. Wenn wir Liebe weiterhin so interpretieren, dass es ein lebensveränderndes, episches, einmaliges Ereignis ist, haben wir keine andere Wahl als uns an diese eine Person zu binden.

Gleichzeitig werfen wir unserem Schwarm damit sehr viele Forderungen vor die Füße:

Du musst mich zurück lieben! Du darfst nur mich lieben! Du wirst mich für immer lieben!

Wenn diese Forderungen nicht erfüllt werden, versetzt uns das einen Stich. Wir fühlen uns verletzt und zurückgesetzt. Manchmal sorgt dieses Bild auch dafür, dass wir bei dem „geliebten“ Menschen bleiben, durch dick und dünn, durch gute und schlechte Zeiten, auch bei Misshandlung, Missachtung, Lügen, Frustration und gegenseitiger Zerstörung. Dann ist es egal ob es uns oder jemand anderem noch einen Funken Freude bringt, denn die Liebe rechtfertigt das „Aussitzen“.

Ich wünsche mir, dass meine Kinder sich frei genug fühlen zu lieben, wen, wo und wie lang es gut und gesund für sie ist. Das einmal ausgesprochene Liebe sie nicht auf ewig bindet und dass sie lernen Liebe von all den anderen wichtigen Zutaten für gesunde Beziehungen zu differenzieren.

zwanglose Liebe - Textgrafik: "Ich liebe dich, keine große Sache"

Für die Geliebten

Geliebt werden muss sich nicht anfühlen wie ein Angriff auf meine Freiheit. Sie ist ein Geschenk. Worüber wir nie reden: Es ist unglaublich unangenehm geliebt zu werden, ohne das Gefühl erwidern zu können. So unangenehm, dass viele von uns sich sogar lieber wie kaltherzige Arschlöcher verhalten als dem Liebenden über den Weg zu laufen. Wir kriegen Panik, wir distanzieren uns, wir leugnen jegliches Interesse an der Person (Stichwort Ghosting). Aber das ist ja keine Aversion gegen die Liebe und meist auch nicht gegen den Liebenden. Es sind all die Erwartungen und gefürchteten Forderungen, die uns jegliche Freude an dieser Wertschätzung vermiesen.

Wenn Liebe frei von Zwang ist, können wir als Geliebte das Kompliment annehmen und uns warm und wohl fühlen. Wir könnten sogar so etwas wie Mitgefühl für den Liebenden empfinden (der im Zweifel gerade schlechter schläft und vor lauter Schmetterlingen kaum isst). Eine entspannte Entgegennahme der Liebe erlaubt auch nettere und bessere Reaktions-Entscheidungen zu treffen. Kein Drama fürchten zu müssen, erlaubt es respektvoll und dankbar abzulehnen.

Zwanglose Liebe: Es ist ok.

Denn mal ehrlich, was passiert denn schon, wenn meine Liebe nicht erwidert wird? Was passiert, wenn nicht jedes Mal eine Beziehung daraus wird?

Ich habe so viele Gefühle und Sehnsüchte am Tag, die unbefriedigt bleiben. Manchmal (ja, vielleicht auch öfter), wünsch ich mir nach 22 Uhr noch einen großen Becher Eis von Firenze an der Königsstraße in Münster. Aber das Eiscafé schließt immer schon um 21 Uhr und ist unglücklicherweise auch noch 11km weit von meinem Wohnzimmer entfernt. Aber kriege ich deswegen in diesen Nächten Panik? Schicke ich Firenze auf Instagram verheult verzweifelte Nachrichten? Fahre ich tränenüberströmt durch die Stadt, um auf die Türen einzuhämmern? Werde ich ohne dieses nächtliche Eis nie wieder ein anderes Eis genießen können?

Nein. Ich komm damit klar. Ich motz vielleicht ein wenig rum und dann leb ich ohne das Eis (und passe dafür am nächsten Tag in meine Hosen). Wie ein erwachsener, gesunder Mensch.

Das beste an zwangloser Liebe ist, viel mehr davon fühlen, teilen und verschenken zu können.

Die Autorin dieses Beitrags

Leila schreibt seit 2014 über Familie, Food und Reisen hier auf Münstermama, und als Kolumnistin der MZ. Als Gründerin des Münsteraner Bloggernetzwerks MünsterBLOGS ist sie aktuell nicht mehr aktiv, begleitet das Netzwerk aber noch immer.

Kategorie: Mamas Stories

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Leila schreibt seit 2014 über Familie, Food und Reisen hier auf Münstermama, und als Kolumnistin der MZ. Als Gründerin des Münsteraner Bloggernetzwerks MünsterBLOGS ist sie aktuell nicht mehr aktiv, begleitet das Netzwerk aber noch immer.